Presseschau No 12 – „Sterbetouristen: verzwanzigfacht“..
„Nicht ein „du darfst nicht sterben...“
„KREMATORIUM Grenzwert um 10x überschritten
„Die Geister die wir riefen“ ...
Sterben vor den Fernsehkameras - TagesAnzeiger 23.01.2003 -
Immer mehr «Sterbetouristen“ aus dem Ausland reisen für ihren Freitod nach Zürich. Innert zwei Jahren hat sich ihre Zahl fast verzwanzigfacht („20 x!“)
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Die Zahl ausländischer „Sterbetouristen“, die in Zürich ihren Freitod vollziehen, wächst rasant....
... Immer mehr ausländische «Sterbetouristen) werden bei ihrem Freitod in von einem Medientross begleitet. Die Zeitungsartikel und TV-Beiträge ersetzen eigentliche Werbung und sind mit ein Grund für den massiven Zulauf. Im Fall des sterbewilligen Engländers seien in und um die Wiediker Wohnung «rund ein Dutzend Journalisten, Fotografen und Kameraleute» zugegen gewesen, erzählt eine Nachbarin. Und beim Suizid eines 81-jährigen Deutschen Anfang Januar zählte die Polizei fünf Zeitungsjournalisten und sieben Fernsehteams -unter anderem vom US-Sender CBS" «Diese Medienpräsenz ist problematisch», sagt Staatsanwalt ....
... Die markante Zunahme von «Sterbetouristen» in der Wiediker Wohnung stösst auch sonst auf Widerstand. «Man muss sich fragen, ob das ausgerechnet in einem Wohnhaus passieren soll», sagt eine Bewohnerin des schmucklosen Blocks aus den Sechzigerjahren, in dessen oberstem Stock sich die Dignitas- Wohnung befindet. Jedes Mal, wenn wieder ein Sarg durch das enge Treppenhaus weggetragen werde, stelle sich «eine Art Grusel-Effekt» ein, erzählt eine andere Nachbarin.
Kommt dazu, dass nach jedem begleiteten Suizid ein Polizeioffizier, ein Bezirksanwalt und ein Gerichtsmediziner in die Wiediker Wohnung ausrücken müssen.
Dies kostet den Staat pro «Sterbetourist» 3000 bis 5000 Franken. Die Behörden klären ab, ob beim Freitod nicht gegen die einschlägigen Strafgesetzbestimmungen verstossen wurde. In Zürich kam es noch nie zu einem Strafverfahren. Zu den Kosten sagt Staatsanwalt Andreas Brunner: «Wenn die Zahl ausländischer <Sterbetouristen> weiter derart steigt, muss man sich überlegen, ob nicht eine Art Verursacherprinzip einzuführen ist
Umstrittene Sterbehilfe – Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft –
Sterbehilfe sorgt für Unruhe / die langsame Gewöhnung (?)
- Neue Zürcher Zeitung - 24.01.2003
He. Gleich zwei Mal galt der späte Dienstagabend dem Thema Beihilfe zum Selbstmord. Das ZDF brachte den Dokumentarfilm «Isoldes letzter Sommer» von Johannes Bockes, der die Reise einer Patientin .....Dasein ... ein Ende bereitete. ...
SF I wiederum hatte eine Runde in den Zischtigsclub geladen, die den Fall von Heidi T. erörterte, einer psychisch kranken Patientin, die mit der Hilfe des Psychiaters und Gründers der Exit-Abspaltung «Verein Suizidhilfe», Peter Baumann, ihren Sterbewunsch realisierte. Hier waren zwei Punkte brisant: Darf psychisch Kranken beim Sterbewunsch geholfen werden, ist der Wunsch Ausdruck jener Autonomie des Subjekts, auf die die Sterbehilfe eigentlich baut? Und entspricht die Methode mit dem PIasticsack, unter dem der Kandidat nach der Einnahme starker Schlafmittel erstickt, der Menschenwürde, die ebenfalls als Argument für Sterbehilfe dient?....
In den Niederlanden ist die Euthanasie, die aktive Sterbehilfe durch Ärzte, am weitesten fortgeschritten und durch Gesetze geregelt. Zwar steht auf dem Papier, dass gewährleistet sein soll, dass die ausdrückliche Bitte des Patienten erkennbar ist; die wiederholte Beratung zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat und die Konsultation eines weiteren Mediziners erfolgte. Darüber fertigt dann der Arzt, der die Euthanasie durchführt, einen Bericht an. In einem alarmierenden und kritischen Beitrag in der deutschen Mediziner-Fachschrift «Der Internist» hat in der Juli-Ausgabe der niederländische Arzt K. F. Gunning seine Erfahrungen angesichts der neuen Rechtslage beschrieben.
Dr. K.F. Gunning in Rotterdam ist , Präsident der World Federation of Doctors who respect Human Life, der die Europäische Ärzteaktion angeschlossen ist.
Siehe den ganzen, alarmierenden und kritischen Beitrag unter button: „Du sollst nicht töten“
Die Organtransplantation ist in der Schweiz bis heute nicht einheitlich geregelt. An Stelle von Empfehlungen, kantonaler Gesetze soll nun auf 2004 ein neues schweizerisches Transplantationsgesetz in Kraft treten. Einen entsprechenden Entwurf hat der Bundesrat bereits in September 2001 das Parlament überwiesen. Nach Auskunft des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) blieb die Vorlage wegen Überlastung der Vorberatenden Kommission bis heute in der Pipeline stecken. Die wichtigsten Grundzüge des neuen Gesetzes lauten:
. Organhandel ist verboten, Spenden dürfen nicht verkauft werden.
. Es gilt die erweiterte Zustimmungslösung, das heisst 0rgane dürfen nur entnommen
werden wenn Spender oder seine nächsten Angehörigen die ausdrückliche Zustimmung gegeben haben.
. Bei der Weitergabe von 0rganen darf niemand diskriminiert werden; die Zuteilung erfolgt über die nationale Zuteilungsstelle.
. für die Transplantation von fötalem oder embryonalem Gewebe braucht es eine Bewilligung der zuständigen Bundesstelle.
. Für die Transplantation (Übertragung von Organen oder anderen Körperteilen vom Tier auf den Menschen) braucht es eine Bewilligung des Bundes.
. Für eine Lebendspende wird keine verwandtschaftliche Beziehung zwischen spendender und empfangender Person vorausgesetzt.
- Neue Zürcher Zeitung 15.01.2003 -
Wiesbaden. 13. Jan. (Reuters) Rund drei Viertel der Selbstmörder in Deutschland sind nach offiziellen Angaben Männer. Im Jahr 2001 hätten sich 11 000 Personen das Leben genommen, teilte das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden mit. 74 Prozent seien Männer gewesen, 26 Prozent Frauen. Die Zahl der Suizide - von den Statistikern als «vorsätzliche Selbstbeschädigung» bezeichnet - lag damit etwa auf dem Niveau der vergangenen Jahre. Auch der Anteil der Männer blieb weitgehend unverändert. Hintergründe zu den Daten gab das Amt nicht bekannt. Der Behörde lägen nur die empirischen Untersuchungen vor, sie habe deshalb keine Informationen, warum der Anteil der männlichen Selbstmörder fast drei Mal so hoch sei wie der Anteil der weiblichen, sagte ein Sprecher des Amtes. Fast die Hälfte der vor zwei Jahren in Deutschland gestorbenen rund 830 000 Personen erlag einer Erkrankung des Kreislaufsystems.
LI ESTAL. .....
Der Spitalseelsorger wies darauf hin, dass medizinische Möglichkeiten viele Leben erhalten, gleichzeitig aber auch das gute Sterben verhindern können. Deshalb dürfe aus dem Gebot „du sollst nicht töten“ nicht ein «du darfst nicht sterben» abgeleitet werden.... .
Krematorium Friedental - Neubau soll 7 Millionen kosten
Quecksilber ins Freie.... Grenzwert ums Zehnfache überschritten...
- Neue Luzerner Zeitung 04.01.2003 -
Das alte Krematorium stösst zu viel Quecksilber aus. Eine Anlage mit Erdgasöfen soll es ersetzen. Sie ist baureif, aber teuer. Noch steht die Finanzierung nicht.
VON ANDREAS TONS
Dazu kommt ein anderes Problem: nämlich dass die Abgase der bestehenden Ofen ungereinigt in die Umwelt I gelangen. Sorgenkind Nummer eins:
Quecksilber. das aus Amalgamfüllungen von Zähnen stammt und bei der Verbrennung verdampft. Gemäss Luftreinhalteverordnung (LRV) dürften pro Kubikmeter Rauchgas nicht mehr als 0,2 Milligramm Quecksilber ins Freie gelangen; Experten des Luzerner Umweltschutzamtes gehen davon aus. dass dieser Wert im Friedental ums Zehnfache überschritten wird. Auch Dioxine und Furane müssten gemäss LRV aus der Abluft gefiltert werden. Bis 2004 hat, die Genossenschaft Luzerner Feuerbestattung Zeit. ihre Anlage anzupassen.
Ein Mittel, das dort den Verbrennungsabgasen beigemischt, bindet Schadstoffe und wird anschliessend aus dem Rauch gefiltert. In Verbindung mit Elektroöfen führt dieser Filter immer wieder zu mangelnden Reinigungsleistungen, so im erst wenige Jahre alten Krematorium in Seewen/ Schwyz. Die Genossenschaft Luzerner Feuerbestattung hat deshalb dem in Deutschland bewährten Gasmodell den Vorzug gegeben.
"Der Neubau, der alles in allem 7 Millionen Franken kostet und auf bis zu 5000 Verbrennungen jährlich ausgelegt ist, soll westlich des heutigen Krematoriums direkt an der Ibachstrasse, entstehen....
Bürger und Christ 15.01.2002
Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Staates und damit der mensch-lichen Gemeinschaft, für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger besorgt zu sein. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit.
Toni Bortoluzzi, Nationalrat, Affoltem a. A./ZH
Nachdem vor kurzem in Holland das aktive Töten zugelassen wurde, befasst sich auch bei uns der Nationalrat mit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Sterben und Tod beschäftigt jeden Menschen, darum ist es wichtig, dass diese Debatte unter Einbezug möglichst breiter Kreise geführt wird. Der Wunsch" selbst einmal nicht leiden zu müssen, dürfte - ergänzt durch Erfahrungen aus der persönlichen Umgebung - bei allen gelegentlich auftreten. Es ist bekannt, dass Todeswünsche in ausweglos scheinenden Situationen, aufkommen, wenn schwer Kranke die Hoffnung verlieren und keinen Lebenssinn mehr sehen.
Palliativmedizin als Alternative .....
... Es sind oft gehörte Aussagen, die verlangen, dass der Staat, welcher zum Schutz des Einzelnen seinen Sicherheitsauftrag, verbunden mit moralischer Autorität wahrgenommen hat, diese Entscheide dem Einzelnen überlassen soll. Diese Forde-rungen sind leichtsinnig, weil, wie im Falle der aktiven Sterbehilfe. unvermeidlich Andere lebensbestimmend werden. Eine an sich bewährte Fürsorgepolitik soll damit einer Gesetzgebung Platz machen, welche den Starken schützt und die Schwächeren der Willkür der vom Gesetz bezeichneten Berechtigten aussetzt
Weil es kein würde- oder wertloses Leben gibt, muss konsequent am, Tötungsverbot festgehalten werden. Auch wenn medizinische Massnahmen nicht mehr sinnvoll sind, heisst das noch lange nicht, dass auch das betroffene Leben wertlos ist.
Die Geister, die wir riefen...
Staatliche Rauschgiftabgabe, Abtreibungslegalisierung, Sterbehilfe - noch selten war der Schutz des menschlichen Lebens, der zu den elementarsten Aufgaben des Staates gehört, gerade von diesem so bedroht wie heute.
In diese Situation schlug die Tötung von neun demenzkranken Frauen durch einen „Pfleger“ im Luzerner Pflegeheim Eichhof wie eine Bombe ein. Die Empörung über die frevlerische Tat ist zu Recht gross und zeigt, dass die Tötung von Menschen, auch wenn sich der Täter auf Handeln aus „Mitleid“ beruft, noch nicht ohne Widerspruch hingenommen wird.
Doch so sehr auch die Empörung gerechtfertig ist, lässt sie doch einen wesentlichen Punkt aus. Bei dem Vorfall in Luzern handelt es sich um das Resultat der gegen-wärtigen leichtfertigen Diskussion um die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens. Wer anfangt, an diesem unumstösslichen Tabu zu rütteln und unter dem Deckmantel euphemistischer Begriffe wie „Autonomie“, oder Selbstbestimmungsrecht“ staatlich legitimierte Schneisen in das Tötungsverbot zu schlagen, darf sich nicht wundern, wenn die Achtung vor dem menschlichen Leben schwindet und verwirrte Geister sich anmassen, über Leben und Tod entscheiden zu können. Der Staat, das muss die Lehre von Luzern sein, darf es nicht zulassen, dass die Unantastbarkeit des Lebens, in welchem Stadium auch immer, in Frage gestellt wird. Das ist die beste Prophylaxe, um Vorfälle wie im Pflegeheim Eichhof in Zukunft zu verhindern.
Kurt Koch, Bischof von Basel - Schweiz. Kath. Sonntagsblatt 28.02.02
.... Die Probleme der Sterbehilfe und der Abtreibung bringen es an den Tag: In der heutigen Gesellschaft droht das ethische und religiöse Bewusstsein immer mehr zu .
erlöschen, dass das menschliche Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod unantastbar ist. Der heutige Mensch hat vielmehr den Eindruck, er habe das Recht, über das eigene Leben und das Leben anderer zu verfügen. Er begründet dieses Recht zumeist mit dem Anspruch auf Selbstbestimmung.
Die Selbstbestimmung des Menschen ist heute derart zum höchsten Wert geworden, dass der Mensch sogar die Art und Weise und den Zeitpunkt seines Sterbens selbst bestimmen möchte. Mit aktiver Sterbehilfe oder mit Beihilfe zur Selbsttötung, die schönfärberisch «Freitodhilfe» genannt wird, möchte der Mensch das Sterben selbst in die Hand nehmen und aus dem verhängten Schicksal des Sterbens einen Akt der menschlichen Selbstbestimmung machen. .....
.... Dennoch stellt sich die Frage, ob sterbende Menschen wirklich so frei sind, wie die Forderung nach Selbstbestimmung voraussetzt. Würde nämlich die Beihilfe zum Suizid staatlich zugelassen, dann würde alten, behinderten und chronisch kranken Menschen, die sich ohnehin oft als minderwertig vorkommen, noch mehr nahegelegt, ihr als «nicht mehr wertvoll» empfundenes Leben beenden zu sollen. Dies würde die Angst alter und kranker Menschen vergrössern, sie könnten ihr Recht auf Leben gesellschaftlich verwirken.
Angesichts von solchen gefährlichen Entwicklungen stehen wir erneut vor der entscheidenden Frage, ob wir all das, was wir technisch können, ethisch auch dürfen. Diese Frage können wir nur beantworten, wenn wir die Selbstbestimmung nicht als isolierten Höchstwert vertreten, sondern auch die Grenzen der Selbstbestimmung wahrnehmen. Die elementarste Grenze besteht dabei in der Selbstbestimmung des anderen. Der Mensch ist nie ein isoliertes Individuum, sondern immer Mitmensch. Die Freiheit des einen ist deshalb immer durch die Freiheit des anderen begrenzt.
Das Zusammenspiel von Fremdbestimmung - und Selbstbestimmung zeigt sich bereits darin, dass sich kein Mensch selbst das Leben geben kann, dass er vielmehr eine Frucht seiner Eltern und darin ein Geschöpf Gottes ist. Dass der Mensch nur eine begrenzte Freiheit hat, wird somit durch unseren christlichen Glauben vertieft.
Palliative Medizin, Pflege und Betreuung - Neue Zürcher Zeitung 22.06.2002
Von Friedrich Stiefel. Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung*
Über die Möglichkeilen der Palliativen Medizin wurde in jüngster Zeit - im Zusammenhang mit der Debatte über die direkte aktive Sterbehilfe - viel diskutiert. Was ist Palliative Medizin, warum braucht es sie, welcher Bedarf und welches Angebot bestehen in der Schweiz, und welche Rolle spielt sie in der .Sterbehilfe-Diskussion?
Palliative Medizin, Pflege und Betreuung, nachfolgend palliative Medizin genannt, will unheilbar kranken Menschen die bestmögliche Lebensqualität erhalten. Es geht nicht um das Ankämpfen gegen ein unaufhaltsames Leiden, sondern um die Behandlung. störender körperlicher Symptome (Schmerzen, Übelkeit). Es geht auch um die Hilfe in psychischer Not (depressive Zustände, Angst) und in schwierigen sozialen Situationen (Einsamkeit, familiäre Konflikte).so wie um die begleitende seelische Unterstützung Palliative Medizin (palliare [lat.l bedeutet: einen Mantel umlegen) ist eine lindernde Medizin, die zur Anwendung kommt. wo Heilung nicht mehr möglich ist. Sie wird durch ein multiprofessionelles Team angeboten, das aus Ärzten, Pflegenden und Vertretern von Psychologie, Sozialarbeit, Ernährungswissenschaft, Physio- und Ergotherapie oder Seelsorge besteht.
Palliative Medizin entstand in den siebziger Jahren in England in einer Zeit grosser Fortschritte der Medizin und der Entwicklung lebensverlängernder. intensivmedizinischer Techniken. Im Wissen darum, dass unheilbar Kranke mit fortgeschrittenem Leiden andere Bedürfnisse haben als jene. die das Angebot der Akutspitäler damals befriedigen konnte, entstand die palliative Medizin; als Bewegung gegen eine Medizin. die , sich auf das « Machbare» anstatt auf das «Sinnvolle» konzentrierte.
Inzwischen hat sich die Medizin von einem als «acharnement therapeutique» oder « Behandeln um jeden Preis» bezeichneten Verhalten entfernt und stellt die lindernde Behandlung bei unheilbar Kranken ebenfalls in den Mittelpunkt. Die palliative Medizin wiederum erkannt. dass gerade auch schwer kranke Menschen sehr wohl von den technischen Fortschritten der Medizin profitieren können. Die palliative Medizin definiert sich durch einen überlegten Umgang mit Grenzen (Grenzen der Medizin, Grenzen des Lebens), durch ein multiprofessionelles Team und eine die psychischen, sozialen und seelischen Aspekte des Menschen umfassende Betreuung.
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass bis zu 40 Prozent aller Ausgaben für die Gesundheit eines Versicherten im letzten Lebensjahr entstehen. Was Menschen mit einer unheilbaren Krankheit im letzten Lebensjahr aber benötigen, verursacht nicht notgedrungen grosse Kosten. Gemäss Umfragen Wünschen sich Betroffene eine effiziente Behandlung von Schmerzen und anderen Symptomen, eine tragende Beziehung, in der Fragen über Sterben und Tod Platz haben, ein koordiniertes Behandlungsnetz, auch für die Pflege zu Hause, sowie Hilfe zur Selbsthilfe und die Möglichkeit der Mitbestimmung bei medizinischen Entscheiden.
Neue Zürcher Zeitung 22.06.2002
Von Heinz Rüegger, Theologe Egg*
Die meisten Menschen wollen möglichst lange leben. Viele fürchten sich aber davor, in den letzten Lebensjahren pflegebedürftig zu sein oder in einem Spital zum Objekt sinnloser Lebens- und Leidensverlängerung gemacht zu werden. Angesichts der Angst, im Sterben die menschliche Würde zu verlieren, erhebt sich die Forderung, in Würde sterben zu können. Der Verfasser vertritt die Meinung, es werde weithin mit einem höchst problematischen Würdeverständnis argumentiert, dessen Konsequenzen für den Umgang mit Leidenden und Sterbenden kontraproduktiv sind.
Die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die sich daraus ableitenden Menschenrechte gehören zu den wichtigsten Errungenschaften unserer Kultur. Wird die Würde des Menschen aussenpolitisch vor allem im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen zum Thema. so steht sie innenpolitisch vornehmlich im Bereich der Medizinethik - z. B. in der Debatte um Sterbehilfe - im Zentrum. Dabei zeigt sich: Das klassische Würdeverständnis, das der abendländischen Menschenrechtstradition zugrunde liegt, wird unter der Hand durch ein anderes ersetzt.
Diese für die heutige Diskussion charakteristische Argumentationsweise geht von drei Annahmen aus: 1. Menschenwürde ist grundsätzlich verlierbar; sie kann durch unheilbare Krankheiten «in schwerer Weise» beeinträchtigt werden.
2. Der Würdeverlust hat damit zu tun, dass eine Person ihre Autonomie nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr «selber über ihr Ende mitbestimmen» kann. 3. Ein schweres Leiden erscheint als «nur mehr sinnlos».
... Nach diesem heute gängigen Verständnis hängt Würde von inneren und äusseren Faktoren ab. die die Situation eines Menschen ausmachen. So werden starke Schmerzen. körperliche oder geistige Behinderung, Abhängigkeit von fremder Hilfe, Verlust der Selbstkontrolle und der Fähigkeit, über sich selbst zu bestimmen, als entwürdigend empfunden. Würde kommt einem Menschen dadurch zu, dass er einigermassen gesund. körperlich und intellektuell Leistungsfähig und unabhängig ist.. So verstanden ist Würde nicht etwas, das einem Menschen grundsätzlich zukommt, sondern das Resultat von Fähigkeiten oder Qualitäten, die mehr oder weniger, im schlimmsten Falle gar nicht mehr vorhanden sein können. Unheilbare Krankheit bzw. schweres Leiden kann die menschliche Würde beeinträchtigen. So kann es unter Umständen wünschbar erscheinen, das Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt durch eigenen Entschluss selbst zu beenden (Suizid) oder beenden zu lassen (Sterbehilfe).
Diese Verwendung des Würdebegriffs in der gegenwärtigen Diskussion um Sterbehilfe stellt einen Bruch mit der abendländischen Tradition dar. In ihr wurde unterschieden zwischen einer inhärenten Würde als Seinsbestimmung, die dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig davon. was er tut und unter welchen , Bedingungen er lebt, und einer Kontingenten Würde. die vom Tun eines Menschen. von seinem sozialen Status oder von seinen Lebensumständen abhängt.
Diese Unterscheidung ist fundamental, vor allem im Blick auf die inhärente Würde. Diese ist dem Menschen mit seinem Sein selbst gegeben. Sie kann und muss nicht erst durch Leistung oder äussere Lebensbedingungen erworben werden.
Entsprechend kann sie auch nicht verloren gehen oder durch irgendwelche Faktoren (zum Beispiel Leiden, Krankheit, Abhängigkeit, Abbau der geistigen Fähigkeiten) beeinträchtigt werden. Sie bleibt, solange das menschliche Sein existiert, dem sie inhärent ist. Dort, wo wir von Menschenwürde oder von den aus ihr sich ableitenden Menschenrechten sprechen. geht es immer um diese dem Menschen inhärente Würde.
Darum muss es zu denken geben, dass sich in letzter Zeit eine Sprache durchsetzt. die die Würde von Leidenden und Sterbenden nicht mehr als inhärent gegeben und darum unverlierbar ansieht, sondern davon ausgeht, dass Leiden und Krankheit „die Würde des Menschen in schwerer Weise beeinträchtigen“ können. Das erzeugt unweigerlich einen gesellschaftlichen Druck auf Leidende und Sterbende.
.... Diese Haltung ist klassisch zusammengefasst im Diktum des amerikanischen Ethikers Joseph: Fletcher: «Todeskontrolle ist wie Geburtenkontrolle eine Sache menschlicher Würde. Ohne sie verkommen Personen zu Marionetten.»
Durch diese Überbewertung des selbst noch im Sterben autonom handelnden und bestimmenden Menschen wird allerdings der Blick verstellt auf die Bedeutung der inhärenten Menschenwürde, deren humanisierendes. befreiendes Potenzial gerade darin liegt, dass sie vom Versuch entlastet, Würde in einer bestimmten Qualität des autonomen HandeIns sichern zu wollen. Die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Gesellschaft, welche die Wahrung der Autonomie durch Selbstbestimmung als Voraussetzung der Würde versteht, unweigerlich einen (unmenschlichen) Druck auf todkranke Menschen erzeugt....
..Wir täten wohl gut daran, im Blick auf das Sterben eines Sterbenden überhaupt nicht mehrt von Würde zu sprechen. Denn dieser Begriff läuft Gefahr, die realen Vorgänge des Sterbens zu beschönigen oder unter einen unbarmherzigen Erwartungsdruck zu stellen, weil er den Blick auf die medizin- und pflegeethisch so zentrale Bedeutung der durch nichts zu beeinträchtigenden inhärenten Menschenwürde verstellt.